Deutsche Wirtschaftshilfen in der Pandemie: Aktuelle Gesetzespakete

Deutsche Wirtschaftshilfen in der Pandemie: Aktuelle Gesetzespakete

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Die COVID-19-Pandemie droht, die deutsche Realwirtschaft nachhaltig zu schwächen. Die Politik hat nun reagiert und in dieser Woche umfangreiche Hilfspakete verabschiedet. Herzstück ist ein Rettungsschirm für die Realwirtschaft mit Garantien für Unternehmensverbindlichkeiten mit einem Volumen von 400 Mrd. Euro sowie 100 Mrd. Euro zur Unterstützung der Rekapitalisierung für große deutsche Unternehmen. Dazu kommen weitere 100 Mrd. Euro für Sonderprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zur Unterstützung insbesondere auch von KMU. Flankiert wird diese Unterstützung von einer Reihe zivil- und gesellschaftsrechtlicher Erleichterungen. Ein Inkrafttreten wird bis Ende der Woche angestrebt.

Unternehmen müssen nun rasch prüfen, ob und ggf. welche Hilfen sie in Anspruch nehmen.

Wir geben nachfolgend einige Hinweise zu den drängendsten rechtlichen Fragen (insbesondere des Gesellschafts- und Beihilferechts), die sich aus den neuen Entscheidungen ergeben.

Rettungsschirm zur Stabilisierung der Realwirtschaft

Was ist der Wirtschaftsstabilisierungsfonds? Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) ist in Analogie zum bestehenden Finanzmarktstabilisierungsfonds ein neu geschaffenes nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes. Er dient der Stabilisierung von Unternehmen der Realwirtschaft (also aller Wirtschaftsunternehmen mit Ausnahme des Finanzsektors) durch Überwindung von Liquiditätsengpässen und durch Schaffung der Rahmenbedingungen für eine Stärkung der Kapitalbasis von Unternehmen, deren Bestandsgefährdung erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft, die technologische Souveränität, Versorgungssicherheit, kritische Infrastrukturen oder den Arbeitsmarkt hätte.

Welche Unternehmen können mit Stabilisierungsmaßnahmen unterstützt werden? Mithilfe des WSF können Unternehmen unterstützt werden, die in den letzten beiden bereits bilanziell abgeschlossenen Geschäftsjahren vor dem 1. Januar 2020 mindestens zwei der drei folgenden Merkmale erfüllt haben:

  1. eine Bilanzsumme von mehr als 43 Mio. Euro,
  2. mehr als 50 Mio. Euro Umsatzerlöse,
  3. mehr als 249 Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt.

Eine Besonderheit gilt für Unternehmen, die etwa Kritische Infrastruktur betreiben oder von vergleichbarer Bedeutung für die Sicherheit oder die Wirtschaft sind: Auch ohne Erreichen der Schwellenwerte ist hier eine Förderung grundsätzlich möglich, soweit mit den Stabilisierungsmaßnahmen beispielsweise Angelegenheiten von besonderer Bedeutung unterstützt werden. Eine weitere Besonderheit besteht für Unternehmen, die seit dem 1. Januar 2017 in mindestens einer abgeschlossenen Finanzierungsrunde von privaten Kapitalgebern mit einem Unternehmenswert von mindestens 50 Millionen Euro einschließlich des durch diese Runde eingeworbenen Kapitals bewertet wurden: Sie können durch Rekapitalisierungsmaßnahmen unterstützt werden, soweit damit beispielsweise Angelegenheiten von besonderer Bedeutung gefördert werden.

Weiterhin müssen förderungsfähige Unternehmen die Gewähr für eine solide und umsichtige Geschäftspolitik bieten, sollen insbesondere einen Beitrag zur Stabilisierung von Produktionsketten und zur Sicherung von Arbeitsplätzen leisten, müssen über eine klare eigenständige Fortführungsperspektive nach Überwindung der Pandemie verfügen und dürfen erst nach dem 31. Dezember 2019 in Schwierigkeiten geraten sein. Ihnen dürfen auch keine anderweitigen Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Welche Unterstützung kann der WSF gewähren? Der WSF sieht Unterstützung durch zwei Typen von Stabilisierungsmaßnahmen vor: erstens Garantien bis zu einem Gesamtvolumen von 400 Mrd. Euro für Verbindlichkeiten der unterstützten Unternehmen, zweitens Beteiligungen an der Rekapitalisierung von Unternehmen mit einem Volumen von insgesamt bis zu 100 Mrd. Euro.

Müssen einzelne Stabilisierungsmaßnahmen anhand der Vorgaben des EU-Beihilferechts geprüft werden? Ja. Die Regelungen des Europäischen Beihilferechts der Art. 107 und 108 AEUV sind bei allen einzelnen Stabilisierungsmaßnahmen voll zu berücksichtigen. Allerdings hat die Kommission durch einen „Befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID‑19“ erleichterte Rahmenbedingungen für eine Genehmigung von Stabilisierungsmaßnahmen auf der Grundlage des Sonderausnahme für „außergewöhnlicher Ereignisse“ erlassen, von dem auch die Unternehmen in Deutschland profitieren können. Die auch beihilferechtskonforme Ausgestaltung der konkreten Stabilisierungsmaßnahmen wird einen Schwerpunkt bei den anstehenden Verhandlungen zwischen den Unternehmen und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bilden – auch, weil die staatlichen Leistungen von Bedingungen und Auflagen abhängig gemacht werden sollen.

Was genau sind Garantien? Gegen eine angemessene Gegenleistung des Unternehmens kann der WSF Garantien für Verbindlichkeiten von Unternehmen und Schuldtitel übernehmen, die nach Inkrafttreten des Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetzes bis zum 31. Dezember 2021 begründet bzw. begeben werden. Ziel ist es, Liquiditätsengpässe zu beheben und die Refinanzierung am Kapitalmarkt zu unterstützen. Die Laufzeit der Garantien und der abzusichernden Verbindlichkeiten darf 60 Monate nicht übersteigen. Weitere Details wie etwa die Art der Garantie und der Risiken, die durch sie abgedeckt werden können, die Gegenleistung und die sonstigen Bedingungen der Garantie oder Obergrenzen für die Übernahme von Garantien für Verbindlichkeiten einzelner Unternehmen können durch eine noch zu erlassende Rechtsverordnung festgelegt werden.

Was genau sind Rekapitalisierungsmaßnahmen? Der WSF kann sich zu angemessene Bedingungen an der Rekapitalisierung von Unternehmen beteiligen durch den Erwerb von nachrangigen Schuldtiteln, Hybrid-anleihen, Genussrechten, stillen Beteiligungen, Wandelanleihen, den Erwerb von Anteilen an Unternehmen und die Übernahme sonstiger Bestandteile des Eigenkapitals dieser Unternehmen, wenn dies für die Stabilisierung des Unternehmens erforderlich ist. Die Rekapitalisierung erfolgt zu marktgerechten Bedingungen. Allerdings soll eine Beteiligung durch den WSF nur dann erfolgen, wenn ein wichtiges Interesse des Bundes an der Stabilisierung des Unternehmens vorliegt und der vom Bund angestrebte Zweck sich nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen lässt. Weitere Details wie etwa die Gegenleistung und die sonstigen Bedingungen der Rekapitalisierung, Obergrenzen für die Beteiligung an Eigenkapitalbestandteilen von einzelnen Unternehmen oder die Bedingungen, unter denen der WSF seine Beteiligung an den Eigenkapitalbestandteilen wieder veräußern kann, können durch eine noch zu erlassende Rechtsverordnung festgelegt werden.

Können die Stabilisierungsmaßnahmen mit Vorgaben an die Unternehmen verknüpft werden? Ja, die Unterstützung kann und soll mit Anforderungen verbunden werden etwa zur Verwendung der aufgenommenen Mittel, der Vergütung der Organe, Maßnahmen zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen oder branchenspezifische Restrukturierungsauflagen. Näheres wird sich aus einer noch zu erlassenden Rechtsverordnung ergeben. Zudem ist das Unternehmen verpflichtet, auf Verlangen des WSF zumutbare Maßnahmen vorzunehmen, die für die Rückführung, Veräußerung, Übertragung oder Änderung von Beteiligungen des WSF zweckdienlich sind, die im Zusammenhang mit einer Rekapitalisierung erworben wurden.

Besteht ein Anspruch auf Unterstützung durch Stabilisierungsmaßnahmen? Wie wird über die Anträge entschieden? Es besteht kein Rechtsanspruch auf Unterstützung. Über Anträge wird vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden unter Berücksichtigung der Bedeutung des Unternehmens für die Wirtschaft Deutschlands, der Dringlichkeit, der Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und den Wettbewerb und des Grundsatzes des möglichst sparsamen und wirtschaftlichen Einsatzes der Mittel des WSF.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist die fachlich zuständige Behörde für die Verhandlungen über Stabilisierungsmaßnahmen mit den Unternehmen der Realwirtschaft und zuständig für die Vorbereitung der Anträge. Die Entscheidung trifft dann im Regelfall das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Über Grundsatzfragen, Angelegenheiten von besonderer Bedeutung sowie über Entscheidungen über wesentliche Maßnahmen und Auflagen entscheidet ein spezielles Gremium aus Vertretern maßgeblicher Ministerien (WSF-Ausschuss), das sich durch Fachleute mit Expertise in Industriebeteiligungen unterstützen lassen kann.

Die Unternehmen müssen den Stabilisierungsmaßnahmen zustimmen und etwaige Bedingungen umsetzen. Werden Vorgaben etwa der Unternehmenssatzung und des Gesellschaftsrechts angepasst? Ja, es werden zahlreiche gesellschaftsrechtliche Sonderregeln geschaffen. So ist beispielsweise der Vorstand einer Aktiengesellschaft berechtigt, eine Verpflichtungserklärung zur Einhaltung der Bedingungen für Stabilisierungsmaßnahmen abzugeben, die dann auch die Gesellschaft und der Gesamtheit ihrer Gesellschafter bindet. Weitere Sondervorschriften betreffen beispielsweise die Ausgabe neuer Aktien, Kapitalerhöhung gegen Einlagen und Kapitalherabsetzung oder die Ausgabe von Genussrechten und Schuldverschreibungen mit einem qualifizierten Nachrang an den WSF. Sonderregeln finden sich für die AG ebenso wie beispielsweise für Genossenschaft, KGaA, SE und GmbH.

Gibt es Unterstützung für Unternehmen, die unterhalb der oben genannten Schwellenwerte (Bilanzsumme von mehr als 43 Mio. Euro; mehr als 50 Mio. Euro Umsatzerlöse; mehr als 249 Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt) liegen, insb. für KMU? Ja. Auch wenn eine Förderung nach den oben umrissenen Grundsätzen ausscheidet, kommen weitere staatliche Unterstützungen in Betracht. Dazu zählen Sonderprogramme der KfW (vgl. dazu auch die Ausführungen der KfW zur „KfW-Corona-Hilfe“). Für diese Sonderprogramme erhält die KfW bis zu 100 Mrd. Euro.

Weitere Sonderregeln in Reaktion auf die krisenbedingten Wirtschaftsprobleme

Gibt es Sonderregelungen für Insolvenzsituationen? Ja: Mit Wirkung vom 1. März 2020 bis zum 30. September 2020 ist unter bestimmten Umständen die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. An die Aussetzung knüpfen sich eine Reihe von Folgen (etwa erlaubte weitere Zahlungen des Unternehmens oder die Bestellung von Sicherheiten).

Wie können Hauptversammlungen etwa von Aktiengesellschaften abgehalten werden, wenn gleichzeitig weitreichende Kontaktverbote bestehen? Ein spezielles Gesetz bietet dafür verschiedene Möglichkeiten. So kann z.B. eine virtuelle Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten abgehalten werden. Dies gilt für Aktiengesellschaften ebenso wie für die KGaA und die SE. Weitere gesellschaftsrechtliche Sonderregeln gelten für GmbHs, Genossenschaften, Vereine, Stiftungen und Wohnungseigentümergemeinschaften.

Darf ein Schuldner die Leistung verweigern, wenn er aufgrund der COVID-19-Pandemie die Leistung nicht erbringen kann? Es wurde entgegen erster bekanntgewordener Absichten kein allgemeines Moratorium eingeführt – verweigerungsberechtigt können aber Verbraucher und Kleinstunternehmen sein. Für bestimmte Dauerschuldverhältnisse, die vor dem 8. März 2020 geschlossen wurden, können Verbraucher und Kleinstunternehmen unter weiteren Voraussetzungen bis zum 30. Juni 2020 die Leistung verweigern, wenn sie wegen der COVID-19-Pandemie die Leistung nicht erbringen können. Allerdings gilt dies nicht ausnahmslos; zudem sind verschiedene Vertragstypen davon ausgenommen (etwa Verträge mit arbeitsrechtlichen Ansprüchen).

Was bedeutet die COVID-19-Pandemie für Miet- und Pachtverträge über Grundstücke oder über    (Wohn-, Gewerbe-)Räume? Der Mieter schuldet unverändert die vereinbarte Miete. Soweit der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete aber nicht leistet und die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht, darf der Vermieter nicht wegen Säumnis der Miete kündigen.

Wie wirkt sich die COVID-19-Pandemie auf Darlehensverträge aus? Es bestehen verschiedene spezielle Regelungen zu Verbraucherdarlehensverträgen, die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden. Werden Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 fällig, kann sich der Darlehensnehmer grundsätzlich auf eine Stundung für drei Monate berufen. Voraussetzung ist, dass er durch die COVID-19-Pandemie Einnahmeausfälle erlitten hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist. Zudem sind Kündigungen des Darlehensgebers wegen Zahlungsverzugs des Darlehensnehmers bis zum Ablauf der Stundung ausgeschlossen.

Eine Ausdehnung der Regelung über Verbraucherdarlehensverträge hinaus ist möglich: Durch Rechtsverordnung können die genannten Rechte auch auf weitere Darlehensverträge ausgedehnt werden, insbesondere für Kleinstunternehmen als Darlehensnehmer.

Diese Hinweise beinhalten lediglich eine unverbindliche Übersicht. Sie ersetzen keine rechtliche Beratung.

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